40 Jahre zofingenregio - Podiumsdiskussion der AG Pflege
8.11.2022
Bild (v.l.n.r.): Christian Reize, Adrian Schmitter, Ruth Humbel, Stefan Ulrich, Ralph Bürge, Ariella Jucker, Urs Schenker
Präsentation zum Inputreferat von Edith Saner, Präsidentin Vaka (pdf)
Im Rahmen des Jubiläumsjahres «40 Jahre Regionalverband zofingenregio» hatte die Arbeitsgruppe Pflegebereich zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion in den Bürgersaal des Rathauses Zofingen eingeladen. Vertretende aus verschiedenen Gesundheitsbereichen diskutierten das Thema „Pflege 2035 – ein Blick in die Zukunft“.
Edith Saner, Präsidentin vaka (Branchenverband Gesundheit), benannte in ihrem Inputreferat verschiedene Themenfelder, die Einfluss auf die Pflege und Betreuung haben. Vor allem die Politik mische sich vermehrt und unkoordiniert in die Gesundheitsversorgung ein. „Der Kostendruck und die Mengenausweitung fördern und legitimieren diese politische Einflussnahme“, so Saner. Regulatorische Massnahmen einerseits, aber auch zunehmende Qualitätsansprüche anderer-seits erschwerten und verteuerten die Leistungserbringung in Pflege und Betreuung allerdings sehr. „Der Kostendruck nimmt stetig zu.“ Dazu komme, dass die Nachfrage nach Gesundheits-leistungen in allen Bereichen stark zunehme – bei gleichbleibenden Ressourcen, denn die Rekru-tierung und der Erhalt von Fachkräften sei eine grosse Herausforderung. „So entsteht Druck zur Effizienzsteigerung, vor allem, wenn zusätzlich auch noch Ausnahmesituationen wie Pandemien oder die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bewältigt werden müssen“, erklärt Edith Saner. Eine integrierte Versorgung sowie eine Vernetzung der Leistungen würden deshalb immer wichtiger. Es brauche nicht nur ein effizientes Schnittstellenmanagement zwischen allen beteiligten Stellen, sondern auch Fachpersonal, das gut ausgebildet und auf all die Spezialisierungen im Gesundheitswesen vorbereitet ist.
Neue und komplexe Krankheitsbilder
Ebenfalls beeinflusst werde die Gesundheitsversorgung durch neue und komplexe Krankheitsbilder sowie die technische Entwicklung und die Digitalisierung der Medizin. „Durch professionelle Diagnostik werden Krankheiten immer früher entdeckt“, erklärt Edith Saner. Gleichzeitig würden Pflege und Betreuung durch Mehrfach-Erkrankungen, hochbetagte Menschen und anspruchsvolle Behandlungen immer komplexer. Es stelle sich vor diesem Hintergrund tatsächlich die berechtigte Frage, welche Auswirkungen all diese Trends und Fakten konkret auf die verschiedenen Leistungserbringer haben und wie Pflege und Betreuung im Jahr 2035 umgesetzt wird.
Stefan Ulrich von der SRF-Regionalredaktion Aargau/Solothurn diskutierte als Moderator mit den Teilnehmenden der Podiumsdiskussion anschliessend darüber, wie Pflege und Betreuung wohl im Jahr 2035 umgesetzt werden. Einig ist man sich darüber, dass sich sowohl die Pflege als auch die Medizin weiter spezialisieren werden. Christian Reize, Verwaltungsratspräsident der Spitex Region Zofingen AG, ist überzeugt, dass es in einigen Jahren eine noch engere Betreuung geben wird, auch digital. Laut Ralph Bürge, Geschäftsführer Lindenhof Oftringen, wird diese Betreuung vor allem spitalextern stattfinden. Und Ariella Jucker, Standortleiterin Spital Zofingen, weist auf den Personalmangel hin. Die gleichen Bedenken hat Urs Schenker, Geschäftsführer Sennhof Vordemwald: „Die Ressourcen werden den Takt vorgeben.“
Adrian Schmitter, CEO Kantonsspital Baden, betont, dass wir einen Fachkräftemangel und nicht nur einen Pflegekräftemangel haben. In vielen anderen Berufsgruppen fehlten ebenfalls Fachkräfte. Zudem glaube er nicht, dass unsere Wirtschaft sich weiter so entwickeln wird: „Wir könnten in eine Rezession laufen, mehr Arbeitslose haben. Dann ist der sichere Arbeitgeber Gesund-heit für die Pflege die grosse Chance.“ Und Ruth Humbel, Nationalrätin und Beraterin im Ge-sundheitswesen, weist darauf hin, dass es mehr junge Menschen gebe, die in die Pflege wollen, als dass es Stellen gibt.
Viele gute Ideen – aber Kosten entscheidend
Christian Reize ist sicher, dass der Markt spielen wird: „Was wollen die Leute? Zu Hause bleiben.“ Dies sieht auch Ralph Bürge so: „Die Gesellschaft bestimmt den Bedarf.“ Da die Betreuung extrem zunehmen werde, sei es umso wichtiger, dass die Ressourcen dort eingesetzt würden, wo sie gebraucht werden. Alles in allem seien viele Ideen für eine gute Pflege und Betreuung in der Zukunft vorhanden, meint Urs Schenker. Der entscheidende Faktor seien jedoch die Kosten. Bei Pflegeheimen sei es heute oft so, dass die Normkosten die Pflegekosten nicht decken. „Solche Institutionen werden dann mit höheren Pflegestufen abgestraft, obwohl das Ziel ja wäre, tiefe Pflegestufen durch die Spitex zu Hause zu pflegen und nur die höheren in den Pflegeheimen.“
Auch die Frage, ob es zu viele oder zu wenige Pflegebetten gebe, wurde kontrovers diskutiert. Urs Schenker meint, aktuell gebe es ein Überangebot, bald jedoch vielleicht schon nicht mehr. Ralph Bürge ist der Meinung, dass es genug Betten gibt, „aber nur, wenn wir miteinander arbeiten, uns horizontal vernetzen“. Urs Schenker unterstützt dies: „Es ist wichtig, dass man miteinander spricht.“ An der letzten Zusammenkunft der Heimleitungen der Region Zofingen habe er deshalb den Vorschlag gemacht, an der kommenden Sitzung gemeinsam zu überlegen, „wie wir besser zusammenarbeiten, gemeinsam auftreten und uns für unsere Anliegen einsetzen können“.
Adrian Schmitter spricht noch ein ganz anderes Thema an: die „Vollkaskomentalität“. Heutzutage habe man das Gefühl, alles zu wollen und alles zu können. Dabei müsse die Eigenverantwortung wieder steigen. Christian Reize pflichtet bei: Soziale Interaktion sei wichtig; dafür brauche es kein Pflegepersonal. Und auch Ruth Humbel meint: „Prävention ist wichtig, wenn man ins Alter kommt: Bewegung, Kontakt, Ernährung.“